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Leben mit den Luftschlägen

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Es ist kurz vor Mitternacht in Donezk, die rechte Zeit zum Einschlafen im Hotel „Ramada“. Seit ein paar Stunden knallt es leise in der Ferne, ein bisschen wie Silvester. Erst jetzt, da ich im Bett liege und Zeit zum Nachdenken habe, gehen die Gedanken zum Flughafen der umkämpften Stadt – der Ort, an dem sich seit Monaten ukrainische Truppen vor den Schüssen der Separatisten verschanzen. Gut möglich, dass es in dieser Nacht wieder Tote gibt. Plötzlich zischt und heult es draußen, es muss eine Rakete gewesen sein. Ein bisschen steigt sie nun doch hoch, die Angst, dass trotz des brüchigen Waffenstillstands der Ort getroffen werden könnte, an dem man gerade ist. So wie das Hotel „Ramada“ in dieser Nacht.

Furcht vor Luftschlägen ist längst Teil des Alltags. Das spüre ich erst in jener Nacht der Offensive auf die Armee-Stellungen und am Tag danach. Am Sonntag, als ich ankam in der Hauptstadt des ukrainischen Ruhrpotts, veranstalteten die Separatisten ihre Wahlen und ließen die Waffen ruhen. Am Tag darauf ebenfalls. Dann erst geht der nächste Großangriff los. Und ich frage mich, ob es nicht zu leichtfertig ist, die kiloschweren Schutzwesten einfach nicht anzuziehen – bloß weil die Stadt scheinbar ihrem Alltag nachgeht. Andererseits: Wenn einen eine Granate trifft, hilft einem auch die schusssichere Weste nichts. Am Dienstag schließlich treffen Sprengkörper den Sportplatz der Schule Nummer 63, wobei zwei Kinder getötet werden. Hinterher behaupten die Separatisten, die Armee sei es gewesen – und Kiew versucht nachzuweisen, dass die Schüsse aus dem Dorf Makiiwka kamen, das die Besatzer kontrollieren.

Kein Bewohner in Donezk, der nicht Zeuge eines Einschlags in nächster Nähe war. Ich selbst höre die dumpfen Schläge eines Granatwerfers, als ich in einem Wohngebiet nach dem Kauf von Wasser und etwas Räucherkäse zurück ins Auto steige. Separatisten ballern von einem Spielplatz auf den zwölf Kilometer entfernten Flughafen – sofern sie ihn überhaupt treffen. So genau weiß das in diesen Tagen niemand. So treffsicher sind sie alle nicht in diesem Krieg mit diesen altersschwachen Waffen.

Jetzt weiß ich, wie sich Krieg anhört. Wie er ausschaut und riecht, muss ich nicht wissen. Ich bin Wirtschaftsjournalist. Die wirtschaftlichen Folgen des Konflikts zwischen den von Russland unterstützten Separatisten und der Ukraine sind freilich beim Gang durch die Straßen von Donezk überall sichtbar – erst Recht, wenn man das Leben dort mit früheren Eindrücken vergleichen kann. Nachts ist kaum ein Viertel aller Fenster beleuchtet, kaum ein Auto ist auf den Straßen zu sehen. Die meisten Restaurants schließen rasch nach Einbruch der Dunkelheit, es traut sich wohl wegen der allgemeinen Gesetzlosigkeit ohnehin niemand auf die Straße.

Tagsüber sehe ich freilich noch deutlicher, wie die Stadt unter dem Krieg leidet: Die Geschäfte sind meist geschlossen, manche mit Brettern vernagelt. Geldautomaten bleiben schwarz, seit Monaten hat sie niemand mehr mit Barem gefüttert. Nur vor öffentlichen Gebäuden drängen sich Menschen, die entweder Nothilfe beantragen oder Lebensmittelrationen erhalten wollen. Überall posieren hingegen Soldaten mit ihren Kalaschnikow-Gewehren, gekleidet in Uniformteile mit Tarnfleck-Kreationen aus aller Welt. Donezk wirkt dieser Tage wie eine Militärdiktatur – nur schlimmer. Denn der Krieg um den Flughafen läuft noch. Und niemand kann ausschließen, dass bald auch wieder Granaten in der Stadt einschlagen. Die Vororte sind ohnehin nie wirklich zur Ruhe gekommen. Die Gedanken daran halten mich in jener Nacht noch lange wach.

Donezk, im November

Leer sind die Straßen von Donezk – in der einst so belebten Industriemetropole im Osten der Ukraine fürchten sich die Menschen, nach Einbruch der Dunkelheit auf die Straßen zu gehen. Ohnehin sind die meisten Menschen noch nicht in die umkämpfte Stadt zurückgekehrt. Weiterhin sind Tag und Nacht detonieren in der Ferne Granaten.

Foto: Nils Bröer

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